Wir kennen sie alle: die anschwellende Angst, vor die Leute treten zu müssen. Vor allem dann, wenn wir ein neues Thema anpacken und die Leute da draußen weder kennen noch einschätzen können. Doch Sie können den Schalter umlegen – und dabei immer ruhiger, klarer und aufgeschlossener werden.
13 Uhr: Ich habe schlecht geschlafen und mein Kopf ist wie Watte. Draußen herrscht Gluthitze. In zwei Stunden, um 15 Uhr muss ich aufs Podium. Eine Veranstaltung moderieren. Ich habe keine Ahnung, ob drei oder dreihundert Leute kommen. Und beide Situationen erfordern doch eine unterschiedliche Strategie! Ich schaue auf meine Notizen von gestern und merke: Sie sind unzureichend! Ich sehe nur Lücken und was ich die Talk-Teilnehmer noch alles vorher fragen muss. Aber jetzt müssen wir los. Da zickt meine Tochter, hat plötzlich Kopfweh und will zuhause bleiben. Das kann sie aber nicht, weil niemand zuhause ist. Ich beklage innerlich die „mangelnde Unterstützung“ und rede meiner Tochter halb gereizt, halb flehend zu.
13:30 Uhr: Eine Podiums-Teilnehmerin meldet sich per SMS. Ihr Zug steckt fest. Wir werden das für 14 Uhr anberaumte Vorgespräch stark einkürzen müssen. Mein Smartphone feuert ausgerechnet jetzt weitere Nachrichten – von Eltern aus der Schule über das beste Lehrerin-Abschiedsgeschenk, von Mama, die mich an einen Tantengeburtstag erinnern will, und einer Übersetzerin, die irgendwelche Quellenangaben braucht. Doch ich kann das verdammte Ding nicht abstellen, weil ich auf die Nachrichten der verspäteten Teilnehmerin angewiesen bin …
Lampenfieber ist eine bewusste Entscheidung, keins zu haben auch.
Wenn ich nun die Geschichte so weiterlaufen ließe, würde sich meine Welt immer weiter verengen: Wie soll ICH das schaffen? Alles ist heute gegen MICH. ICH habe Kopfweh. Lasst MICH in Ruhe. ICH bin nicht gut genug vorbereitet. ICH muss noch … Alles kreist nur noch um MICH. Meine Blutbahnen verengen sich, der Puls geht hoch. Meine Gedanken toben. Kurz: Ich käme als nervöses Wrack auf die Bühne. Und zwischen mir und dem Publikum würde sich eine Glaswand schieben, die ich kaum mehr aufstemmen könnte.
Doch ich kann gegensteuern und die Stressfallen lächelnd umgehen. Und Sie können das auch.
Ich hatte vor zwei Tagen exakt so eine Situation. Die Veranstaltung lief trotzdem wunderbar. Viele gratulierten mir hinterher zu der „absolut souveränen Moderation“. Daher kann ich frisch für Sie aufschlüsseln, wie ich den Stress gedreht habe:
Einen gesunden Fatalismus walten lassen
Es ist immer so, dass immer etwas ist: technische Pannen, Verspätungen, Verstimmungen. Ich erwarte es geradezu. Als die fünfte absurde SMS kam, und die Mikrofone immer wieder quietschten, musste ich innerlich einfach nur noch lachen. Probleme und Pannen lassen sich am besten lösen, indem ich sie herzlich willkommen heiße.
Blödeln – oder so tun, als hätte ich was geraucht
Die lieben Mitmenschen, die mir bald lauschen werden, wollen nichts Perfektes, sondern einen Menschen, der entspannt und mit sich im Reinen ist. Gerade weil ich so ein Kontrollfreak bin, muss ich mich daran erinnern, dass die Welt auch ohne mich geschieht und alles gut ist, was geschieht. Und dass es zuweilen ziemlich lustig ist und absurd: Vor allem mein Geltungsstreben, meine Ängste, mein kleinliches Herumrechnen in Aufwand und Nutzen, meine ständige Ungeduld. „Wie kann ich mich und die Menschen um mich herum heiter stimmen?“ wird zur wichtigsten Frage für die Zeit VOR dem Auftritt. Lachen öffnet die Herzen. Wer lacht und andere zum Lachen bringen kann, dem wird fast alles verziehen. Dann kann ich aufgeräumt aufs Podium steigen.
Berühren und entspannen
Es hat mir nie gutgetan, mich vor einem Auftritt zurückzuziehen. Zumindest nicht die ganze Zeit. Ein paar Minuten Ruhe für die letzten Vorbereitungen, okay, aber dann heißt es: Get in touch! Ich habe meine Tochter eine Minute lang umarmt und dann sind wir Hand in Hand die letzten 200 Meter zum Veranstaltungsort gegangen. Ihre Hand war in diesem Moment meine Rettung! Da ist Oxytocin geflossen, das hat mich körperlich und psychisch stabilisiert.
Verletzlich sein
Es ist völlig okay, zuzugeben, dass man nervös ist und die Hosen voll hat. Oder um Hilfe zu bitten, oder sich den Kopf kraulen oder den Nacken massieren zu lassen. Frage und trete in Verbindung. Der Eispanzer muss weg, er wird auf der Bühne letztlich nichts nützen.
Danken, loben und preisen
Das ist das Allerwichtigste. Eine Schlange im Café? Lobe die überforderte Barista und gebe reichlich Trinkgeld! Geh zu den Technikern und zeige Ihnen, wie wichtig sie für dich sind! Betrachte alle Mitmenschen als Deine Verbündeten! Ertappe deine Mitmenschen dabei, wie sie dir helfen und Gutes tun. Und helfe zurück! Freu Dich über jeden einzelnen Gast, der eintritt! Sie kommen! Sie wollen etwas ZUSAMMEN erleben! Mit DIR! You never walk alone!
Diese Taten verwandeln mich vor dem Auftritt. Es sind kleine, bewusste Taten, und es müssen auch nicht alle akribisch abgearbeitet werden, sondern je nach dem, was die Situation so hergibt. Das Publikum spürt auf jeden Fall diese neue Energie: Da kommt eine Person, die ganz bei sich, aber auch ganz bei ihnen ist. Weil diese Trennung zwischen MIR und DENEN DA nicht mehr existiert. Ich wünsche Ihnen, dass Sie genau das erleben. Es gehört zum Schönsten, was es zu erleben gibt.
PS: Es gibt einen wunderbaren TED-Talk von Kelly McGonigal, der mein Heilmittel wissenschaftlich untermauert und es auf alle Stresssituationen ausweitet.
© Foto: Gemma Evans